Das Kraut des Südens

Schön Rosmarin heisst ein munteres Stück von Fritz Kreisler, und als ich neulich die Geige so unbeschwert und leicht und locker aus dem Lautsprecher zwitschern hörte, wunderte ich mich schon ein bisschen über den Titel dieser virtuosen Komposition.

Schön Rosmarin. Kraut oder Braut? Gewidmet schön’ Rosmari(e)n? Natürlich ist Rosmari(e)n schön, vor allem ihre/seine Wirkung. Fragt sich nur, an welche der Künstler gedacht hat. Weiblich oder würzig? Vielleicht an beide zusammen, und da steht die Pflanze mit ihrer ätherischen Wucht in der Pole Position. Rosmarin ist das Kraut des Mittelmeers, die Kraft des Südens: Es duftet unverwechselbar, nicht leicht, eher schwer, ein bisschen Kampfer, ein wenig Eucalyptus – in der Küche spielt Rosmarin in derselben Liga wie Myrrhe in der Kirche.

Die Römer exportierten Rosmarin vom Mittelmeer, an dessen felsigen Ufern es am besten gedeiht und die intensivsten Essenzen aufbaut, in den kalten, feuchten Norden jenseits der Alpen, damit die Legionäre im Ruhestand nicht bloss Brassica anzupflanzen brauchten. Den Kohlköpfen gefällts gut im Norden, Rosmarin weniger. Das Kraut schätzt trockene Standorte, die Feuchtigkeit geht ihm an die Wurzel.

Im Mittelalter brauchten die Menschen Rosmarin vor allem als Heilmittel, wahrscheinlich deshalb, weil er wegen seiner Empfindlichkeit eine Exklusivität war. Mönche und Nonnen pflanzten ihn in klösterlichen Kräutergärten an und experimentierten damit. Man presste das intensiv duftende Öl aus den ledrigen Nadeln, die nur wenige und sehr dünne Schlitze auf kleiner Oberfläche haben (im Vergleich mit andern Pflanzenblättern). Diese begrenzte Feuchtigkeitsabgabe schützt die Pflanze vor Austrocknung, denn unter der brennenden Sonne im Mittelmeersommer muss sich das Kraut einpanzern, um das aufgenommene Wasser nicht zu verlieren.

Aus dem Öl fabrizierten Quacksalber, Wunderdoktoren und auch richtige Ärzte Essenzen und Pasten zur Ermunterung von Körper und Geist. Man strich sich Rosmarinöl ins Haar, um als aufgeweckter Mensch durchs Leben zu schreiten. Wer einen klaren Kopf brauchte, setzte sich Kränze aus Rosmarinzweigen aufs Haupt (ich ziehe die Rosmarin-Friction von meinem Coiffeur vor), und edle Frauen rührten Rosmarinelixier ins Badewasser, um ihr welkes Fleisch zu retten.

Rosmarin verjüngt und belebt. Hatte vielleicht diese wertvolle Eigenschaft des Krauts Kreisler zur Titelinspiration bewogen? Er war ja Österreicher, und als Sohn der k.u.k.-Herrlichkeit dürfte er gewusst haben, welcher Erfolg einst Königin Isabella von Ungarn dank einer Rosmarinkur beschieden war: Klapprig und schlaff geworden, badete die Dame in Rosmarinwasser und entstieg darauf der Wanne in solch jugendlicher Frische, dass der König von Polen sie auf der Stelle heiraten wollte. Isabella war 72 Jahre alt.

Rosmarin wird immer noch in Kosmetika verwendet und dient als Grundstoff für Parfüms. Verschwunden ist Rosmarin als Totenbeigabe. Am effektivsten entfaltet sich das Kraut als Gewürz. Für mich gehört es zu jedem Braten, ob Geflügel oder Lamm, Schwein, Kalb oder Rind. Zusammen mit Thymian, Lorbeer und (nach Gusto) Knoblauch. Es passt auch zu schwarzer Schokolade (mit einem Tropfen Olivenöl) und als Aromakitzel zu einem Aprikosensorbet. Am  allerbesten aber kommt Rosmarin in einer Demi Glace zur Geltung: 10 Kilo Kalbsknochen und –füsse in der Bratpfanne und im Bräter (Backofen) rösten, bis sie bräunlich gefärbt sind, dann zerschnittene, ungeschälte Zwiebeln, Sellerie und Rüebli dazugeben, weiter braten, dann Tomatenpüree darunterrühren, weiter braten. Mit Wein ablöschen, Wasser dazugeben. Einkochen, weiter Flüssigkeit dazugeben, etc. Es braucht schon ein paar Stunden, bis die Demi glace abgeschüttet und gesiebt werden kann. Ich kochte einmal 14 Flaschen Wein (rot und weiss, zu alt, mit und ohne Zapfen) auf einen halben Liter Demi glace ein. Vor dem Anrichten lässt man in diesem dicken Jus (erkaltet wie Pudding) zwei  frische Rosmarinzweige fünf Minuten lang ziehen. Erst jetzt abschmecken.


TA | 16. Juli 2005