Die Rache der Natur – die Schöpfung schlägt zurück

Der Wolf hat den Schafspelz abgelegt, der Bär erkundet den heutigen Wert alter Reviere, Fliegen verscheuchen Picknicker, Mücken vermiesen das Schmusen – im ausgehenden Jahr ist klar geworden wie seit langem nicht: Die Schöpfung schlägt zurück.

Ob es sich um Laborratten handelt oder um Zoozuchten, um verhätschelte Haustiere oder degenerierte Kuschelviecher, um zu Milchmaschinen verkümmerte oder zu Eierpumpen verstümmelte Nutztiere, um Wildtiere auf der Pirsch oder beim freien Plündern – die Lebensformen, über deren Verfassungsstatus als Wesen oder Ware immer noch gestritten wird, haben die Schnauze voll und setzen sich zur Wehr um Würde und Wohlbefinden.

Fast alles, was da kreucht und fleucht, weist auf Unzumutbarkeiten hin und bringt sich mit Vehemenz in Erinnerung – als Opfer der Wissenschaft, als Objekt der Begierde, der Zuneigung, der Ausbeutung, der Missachtung. Das Tier betreibt Marketing und greift zu zwar artfremden, aber zuweilen wirksamen Methoden: Es erobert die Medien. Folgend eine kleine Auswahl von Schlagzeilen aus Schweizer Zeitungen der letzten paar Jahre (ergänzt durch Worte der Erklärung, des Staunens oder der freien Vermutung).

Sieger nach Wörtern dürfte 2006 der Wolf sein, aber in seinem Windschatten sorgte auch das Wildschwein für gehörig Wirbel:

«Keiler liess die Sau raus» (Rentner ringt um sein Leben).

«Jagd mitten auf der Autobahn» (Wildsau schlägt Raser).

«Acht Wildschweine kreuzten drei Personenwagen» (der vierte kam mit dem Schrecken davon).

«Sechs weitere Tiere in vier Nächten getötet» (Jagdszenen auf der A 4).

«Heimtückischer Giftanschlag auf Wildschweine» (die Not des Bauern ist die Freude des Beamten; chinesisches Sprichwort).

«Hogzilla die Monstersau» (Erschröckliches aus der amerikanischen Provinz: 2,5 Meter lang, 450 Kilo schwer – wenn das Hausschwein mit der Wildsau ?).

Von den Haustieren beherrschen Hund und Katze unangefochten die Spitze als Medienprominenz. Das ist so erschlagend eindeutig, dass ein Wellensittich chancenlos bleibt und ein Papagei trotz all seiner Redekünste schnell auf den Hund kommt. Ein paar Müsterchen aus Heim und Hof, Amt und Labor:

«Enfin un bistrot pour les chats» (und hinter dem Tresen lächelt sexy das Chick).

«Ein Schweizer Pass fürs Büsi» (wer kümmert sich um die Ausländerfrage?).

«Elektronisches Mausoleum für den Mops» (digitale Himmelfahrt für Ihren Liebling).

«Kampf den Pfunden» (auf den Hunden).

«Die Natur im Dienste der Tierernährung» (oder Fressen und Gefressen werden).

«Der Hund als Lebenspartner» (im Guten wie im Schlechten, bis dass der Tod uns scheide).

«Haustiere hinter Gittern» (die Welt wird immer schlechter).

«Hund drehte beim Zähneputzen durch» (die Bürste stand quer).

«Wels schnappte sich Dackel» (und verschluckte ihn spurlos).

«Wenn einem der Hundekot bis zum Hals steht» (Deep Shit, aber nicht ohne Hoffnung).

«Jäger erschiesst Hund» (wie sich ein Wasenmeister im Business hält).

Auch das Federvieh stösst regelmässig auf Interesse. Manchmal sind es verkorkste Küken, manchmal übernutzte Hühner, manchmal landet gar Wildgeflügel in den Gazetten:

«Junge Schleiereulen verhandeln über Futter» (und verheddern sich im Paragrafensalat).

«Das Huhn steht zwischen Fisch und Maus» (und weiss nicht nur genetisch weder ein noch aus).

«Eine Henne entblösst ihr Erbgut» (und bringt den Hahn in Rage).

«Raben greifen Schafherde an» (zahlt der Bund?).

«Weisse Hühner attackieren dunkle» (Rassismus ohne Ende).

Allerhand Exotisches drängt ebenfalls an die Öffentlichkeit. Mögen im Fernen Osten, im tiefsten Afrika oder in den Pampas von Patagonien richtig wilde Storys erzählt werden («Mutter von zwölf bringt Fisch zur Welt – Dorfpfarrer spricht Segen»), reiben wir uns im alten, von Aufklärung verseuchten Europa auch bei bescheideneren Geschichten die Augen:

«Zwölfjähriger schlägt mit den Fäusten Alligator in die Flucht» (und prügelt den Tierschutz in Verständnisnotstand).

«Arzt hat sechs rote Frösche pro Tag verordnet» (der Patient in Südchina überlebte knapp, nachdem er zwecks Linderung von Schmerzen im Halswirbelbereich in 20 Tagen über 120 Frösche verdrückt hatte).

«Betrunkene Elefanten» (indisches Reisbier ist stets an einem sicheren Ort aufzubewahren).

«XXL-Schlange» (14,85 Meter lang, 447 Kilo schwer: die javanische Antwort auf die Hundeplage).

«Immun gegen Schlangenbisse» (nach 272 überstandenen Schlangenbissen war dieser Inder 92 Jahre alt).

Das Wirken des Menschen am Tier bleibt natürlich nicht ohne Folgen – ebenso wenig wie das Leben des Tiers in seiner Mitte. Daraus entstehen Bindungen, ja manchmal gar Symbiosen. Die einen treibens pragmatisch, die andern fanatisch, die einen bleiben phlegmatisch, die andern werden empathisch:

«Mehr Haustiere als Kinder in Italien» (Mäuse, Kakerlaken und Wanzen exklusive).

«Waidmanns Unheil» (die Jagdstatistik 2003/2004 in Italien verzeichnet 52 abgeschossene Jäger).

«Fliegende Kuh rammte Bergbauern» (wenn Rutschpartien eskalieren).

«Wildtiere erobern die Schweiz» (Schafzüchter, Bauern, Jäger und Imker schreien nach der Generalmobilmachung).

«Cinq renards pour une poubelle» (der Fuchs räumt ab, was die Stadt nicht mehr aufräumen will).

«Frackträger vom andern Ufer» (Sodom und Gomorrha bei den Pinguinen).

«Ein Bandwurm setzt sich am Stadtrand fest» (und angelt sich einen Gemeinderat).

«Totgesagte leben länger» (sagte der Fischotter und verliess mit einem Lächeln die GV des Anglervereins).

Wunder und Wirren sind menschlich. Deshalb führen die Wege der Neugierde immer wieder zu verblüffenden Erkenntnissen:

«Fettleibige Klontiere» (Völlerei im Mäuselabor).

«Sperma von Top-Ebern lohnt sich» (für wen?).

«Fische mit verlängerten Geschlechtsorganen» (wer hat Angst vor Orgien im Bodensee?).

«In Eglisau wüten Biber wie die Wildschweine» (und im Rhein entern mutierte Hechte Ausflugsboote).