Huhn nach Art Gnädiger Herr

Truthahn und Zitronensalat verkörperten «die ganzen Ideale» des Ancien Régime, sagt François de Capitani im Interview (siehe Seite gegenüber). Welche Ideale? «Süss-saurer Geschmack und Produkte aus dem mediterranen Raum und Übersee».

Gegen den «Indian», wie der Truthahn damals auf Deutsch genannt wurde, wirkt so ein braves europäisches Huhn in Blätterteig ziemlich power. Aber nicht im Gaumen. Ist es gar in der Bresse oder unter ähnlich schicken Bedingungen grossgezogen und gemästet worden, übertrifft sein saftiges Fleisch mit dem feinen Vogelgeschmack den trockenen Truthahn um Längen – vor allem in Zeiten der Industrie-Landwirtschaft. Da gibt es Truthähne, die können vor lauter Umfang kaum die Henne besteigen, und schaffen sies doch, purzeln diese hochgezüchteten Kugeln schnell herunter.

De Capitani hat das Rezept des «Pâté de Poulets» in einem Manuskript aus der Waadt des 18. Jh. gefunden. Damals gab es keine Mengenangaben, solche Selbstverständlichkeiten waren offenbar allgemein bekannt, genau wie die Gewürze – wenn doch alles gleich geschmeckt haben soll.

Ich wollte mich also auch einmal an einem historischen Rezept versuchen und machte mich an die Pouletpastete. Hier das Originalrezept: «Poulet in Viertel schneiden, mit Essig begiessen und mit Salz bestreuen, eine Stunde ziehen lassen. Blätterteig auswallen, Fleischmasse darauf geben. Das Fleisch vermischen mit Rosinen, gehacktem Zitronat, frischer Butter, dann die Masse mit etwas Mehl pudern und nochmals etwas Salz darüber streuen, nochmals Gewürze, Rosinen, Zitrone, frische Butter, Pfeffer und dann zudecken. Die Sauce ergibt sich aus Bouillon und Eigelb.»

Es ist davon abzuraten, mit dem Chinesenbeil ganze Poulets in Stücke zu hauen, eine Pastete mit Knochen ist etwas unkomfortabel. Ich schnitt also vier Biopouletbrüste in Würfel, goss nicht Essig über das Fleisch, sondern Weisswein – im Ancien Régime konnte man im Normalfall die beiden Säfte vermutlich kaum unterscheiden -, streute etwas Salz darüber und drehte etwas Pfeffer aus der Mühle. Dann schnitt ich zwei bis drei Zentimeter frischen Ingwer in feine Würfelchen (im 18. Jh. verwendete man Ingwerpulver) und gab sie zum Fleisch. Dann zerdrückte ich etwa viermal jeweils ein, zwei Blättchen Macis zwischen den Fingern, streute sie über die Füllung, vermischte alles und liess es eine Stunde lang ziehen.

Im Originalrezept ist bloss von «épices» die Rede. Zu den typischen Gewürzen im 17. bis Mitte des 19. Jh. gehörten Macis, Muskatnuss und Ingwer. Macis heisst das Netzchen, das die Muskatnuss umschliesst. Es schmeckt ähnlich wie Muskatnuss, aber etwas dezenter, leichter.

Nun schnitt ich den Blätterteig (Butter-Blätterteig aus der Migros) in Quadrate oder runde Plätzchen. Noch fehlten Rosinen und Zitronat. Was tun ohne Mengenangaben? Zurückhaltung üben! Ich gab also 2 EL Zitronat sowie 1 EL Rosinen dazu. Das sollte reichen. Denn ich hasse Rosinen, vor allem in der Leberwurst.

Teigränder mit geschlagenem Ei bestreichen, Füllung auf die eine Hälfte geben, Krapfen zusammenfalten und leicht andrücken. Mit Ei bestreichen. Ca. 20 Minuten bei 200 bis 220° im vorgeheizten Ofen backen. Das Resultat ist verblüffend und schmeckt ausgezeichnet – typisch weihnachtliche Aromen und Düfte. Aber die Sauce kann man getrost vergessen.


TA | 17. Dezember 2005