Kontemplatives Speisen unter Linden

Seit ein paar Jahren dürfen die Pächter des Inzlinger Schlosses, Sybille und Sepp Beha, auch draussen auftragen. Dies war nicht immer so. Der Naturschutz setzte der Gaumenfreude Grenzen. Freilich ist schwer begreiflich, was an einer kommunen, weder trockenen noch halbmageren Wiese schützenswert sein soll. Aber das tut ja nichts mehr zur Sache. Jetzt darf man sich unter ausladenden, Schatten spendenden Linden entspannen, unter Sonnenschirmen die Füsse auf dem Wiesengrund ausstrecken.

Der Gartenplatz vor dem glanzvoll renovierten Wasserschloss, das auf Eichenpfählen lastet, ist sehr beliebt, ob sich nun Spaziergänger zum Schorle einfinden oder sich Feinschmecker die Serviette erwartungsfroh über die Oberschenkel streichen.

Also lässt man sich in bester Laune die vom urbanen Hitzestau aufgeladenen Köpfe kühlen und erlabt sich bei Weiss- und Spätburgunder am kleinen Sommermenü mit vier Gängen, nachgewürzt von Lindenblüten, die auf lauen Lüftchen von den Kronen auf die Teller schweben.

Es ist Montagabend. Bei jedem Blick, den wir auf den Waldrand und die grosse, mit Heumaden linierte Wiese werfen, geniessen wir das Schauspiel der Ländlichkeit, das sich uns in dieser südbadischen Gemeinde unmittelbar vor den Toren Basels bietet. Da können die Städter noch so tapfer Stress zelebrieren, in diesem Dorf, das noch nicht zur Schlafgemeinde degradiert worden ist, lebt sich der Alltag in ruhigem, stetem Rhythmus.

Die Feuerwehr kurvt am Schloss vorbei. Ohne Sirene, in gemächlichem Tempo; ein Funkgerät knistert, eine Antwort bellt zurück; Hektik herrscht keine, man übt bloss. Wie jeden Montag.

Plötzlich wird unser kontemplatives Aufatmen beim «Grüssle us der Kuchi», Carpaccio von Rind und Thunfisch, durch ein heftiges Rumpeln unterbrochen. Der Mann vom nächsten Tisch sitzt nicht mehr am Tisch. Er liegt – ziemlich verdattert, erheblich beleidigt – mit ausgestreckten Beinen neben einem Lindenstamm, noch halb in den umgekippten Stuhl gezwängt, und versucht, seine drei Hunde zu halten und die Leinen zu entwirren. Das Stuhlbein wird er nicht mehr so schnell in die Schlaufen stellen. Aber «Platz!» heissts jetzt und «Sitz!», und ’s setzt gnadenlos Haue ab, wenn die Tiere nicht wollen, wie Herrchen will.

Eine Katze tigert über die Wiese. Sie trägt eine Maus im Maul. Zwischen den äussersten Tischen hockt sie auf die Hinterbeine und legt sich auf dem kurzen Gras ihr Mahl zurecht. Die freundliche Bedienung bringt uns den Tomatensalat mit den gebratenen Gambas. Sorgfältig und in aller Ruhe verspeist die Katze die Maus, während wir uns an der reifen Säure der Tomaten und am süsslichen Geschmack der Crustacés erfreuen.

Kaum hat sie ihre Beute vertilgt, stelzt die Mieze gravitätisch auf die gemähte Wiese zurück und macht sich auf die Suche nach dem zweiten Gang. Wir sind schneller dran. Atlantiksteinbutt an Limonensauce und Lammmedaillons mit frischen Kräutern werden gereicht, dazu entkorkt die Serviertochter einen Tropfen aus der Umgebung, einen Spätburgunder Auslese «Mauchener Goldstück», im Barrique gereift.

Die Katze hat uns mächtig imponiert. Sie weiss, wo man jagt, und sie weiss, wo man isst. Und wie. Diese Manierlichkeit! Die Zähne wie Tafelsilber eingesetzt; nicht geschlungen, nicht hinuntergewürgt wie ein Hund, nein, richtig kredenzt hat sie sich ihr Speisen.

Er kenne einen Kater, Caramel mit Name, erzählt mein Begleiter. Dieser Caramel habe einmal ein ganzes Nest Siebenschläfer ausgeräumt und jeden einzelnen Bewohner säuberlich verzehrt. Am Schluss sei nur ein kleines Stückchen vom Schwanz übrig geblieben. «Sogar den Kopf hat Caramel gefressen», versichert mein Begleiter.

Siebenschläfer müssen Delikatessen sein. Das steht zwar in keinem Kochbuch (mehr), aber die Römer haben diese Nagetiere, die ohne Schwanz gegen zwanzig Zentimeter messen, mit einer Spezialdiät gemästet. Dann haben sie sie getötet, ausgenommen, mit einer Farce gefüllt und im Ofen gegart.

Frau Beha bringt das Dessert, gratinierte Himbeeren und Kirschenpfannkuchen. Auch die Katze ist wieder aufgekreuzt. Wieder drapiert sie eine Maus zwischen zwei Tischen auf der Wiese. Wieder setzt sie bedächtig zum Mahl an.

Eigentlich müsste man ihr einen Teller bringen.


TA | 6. Juli 2002