Essen Sie eigentlich alles?

Vor kurzem haben Sie über geschmorten Bären und Wolfsragout geschrieben. Gibt es eigentlich nichts, was Sie nicht essen würden? Oder anders gefragt: Was essen Sie tatsächlich am liebsten?

Sus giganteus: Da staunt selbst der Dino.

Gibt es nichts, was ich nicht essen würde? Da gibt es viel. Insekten zum Beispiel, das muss ich nicht haben. Es reicht, was zufällig wie unerkannt an Krabbelwesen in ein Essen gerät. Die Vorstellung, wie ein gebratener Maikäfer zwischen den Kiefern knackt und dann sein Inhalt in den Gaumen ploppt, eignet sich eher als Appetitzügler denn als Appetizer. Lieber verzichte ich auf Fleisch, was ohnehin immer leichter fällt. Als Proteinzufuhr ziehe ich Linsentopf einem Mehlwurmburger vor, auch ohne Speck und Wurst, dafür mit gedörrten Tomaten und Oliven.

Veganer werde ich trotzdem nicht. Das ist mir zu extrem, auch wenn der Verzicht auf alles Tierische im Essen eine gesunde Reaktion auf die Masslosigkeit bedeutet, haufenweise Fleisch am Fliessband zu produzieren und zu verdrücken. Als Veganer müsste ich auf zu vieles verzichten, insbesondere auf unser kulinarisches Erbe, auf all die Käsesorten, Würste und Gerichte, deren Basis eine jahrhundertelange Entwicklung von Konservierungsmethoden ist. Eine Schale Nüsse kann keine Käseplatte ersetzen, aber ergänzen. Ausserdem geht mir der apodiktische Ton auf den Geist, mit dem Veganer-Wanderprediger(innen) auf unsereins eindreschen. Durchsetzen wird sich diese Haltung nicht, oder höchstens dann, wenn die Weltbevölkerung dermassen zugenommen hat, dass Fleischtierhaltung aus Platzgründen nicht mehr möglich ist.

In einem Umfeld von permanenter Empörung, wie wir sie derzeit erleben, ist es mühselig geworden, entspannt über Essen zu reden. Genuss wird zur Straftat, Schlemmerei zum Verbrechen. Ich verstehe mich nicht als Hühnermörder, wenn ich ein- oder zweimal im Monat ein Poulet in den Ofen schiebe. Was ich mir aber wünsche, wäre eine Ende der Zweiteilung des Huhns in ein eierlegendes und ein brüstlibildendes Wesen, das bei gleichem Alter doppelt so viel Fleisch aufgepackt hat wie das eierlegende; bald dürfte man diesen Brustbollen ein weiteres Paar Beine angedeihen, damit sie noch stehen können. Das Problem ist nicht der Verzehr von Fleisch, sondern die Industrialisierung der Tierhaltung; insbesondere die Schweinemast, ein Fall von Geiz, Gier und Masslosigkeit.

Aber Sie haben gefragt, was ich tatsächlich am liebsten essen würde. Schwer zu sagen, im Kopf sind immer frische und sehr alte Erinnerungen präsent. Unvergesslich grossartig war der Gamspfeffer, den Philippe Rochat einmal aufgetischt hat. Oder das Cordon-bleu meines Leibkochs Christian mit Schweinshals, reifem Gruyère und Beinschinken. Blanquette de veau nach Art du Chef à domicile, Kalbshaxen nach meiner Art, Linseneintopf mit Speck und Saucisson, all die Klassiker, gerne geschmort.

In Zypern habe ich tagesfrische Dorade auf Scheiben von Zitronen gegart, die auf einem Baum vor dem Ferienhaus wuchsen und die besten meines Lebens waren (auf der Rückreise war mein Koffer vollgestopft mit Zitronen). Dann Hartweizenpasta (ohne Ei) aglio e olio mit getrocknetem Chili darüber oder rotem Kampot-Pfeffer und einem Schuss Primeur-Olivenöl aus Portugal (erste Pressung, grün und etwas scharf). Oder das: Fried Dried Chilli with Chicken, ein chinesisches Gericht, dann Beef Rendang, die Krönung eines Kuhragouts, Soto ayam, eine indonesische Hühnersuppe, Rindergehacktes Thai-Stil mit Chilis und Basilikum, es nimmt kein Ende…

Zum Schluss noch ein Traumgericht, das ich im Februar 2018 bei Georges Wenger in Le Noirmont gegessen habe: Sole bretonne poêlée à l’artichaut, bouillon de cardon à la truffe. Ein genialer Gang ohne Schnickschnack. Eine Herausforderung, markante Aromen wie Artischocke und Kardone gegen Périgord-Trüffel antreten zu lassen. Und erst der zarte Fisch – die Seezunge verband sich wunderbar mit den erdigen Nuancen von Distelgemüse und Trüffel. Ein direkt archaisches, dennoch harmonisches Aufeinandertreffen von Berg und Meer.