Kartoffeln machen Worte

Manche Redewendungen bleiben ewig gültig, andere verlieren den ursprünglichen Sinn, weil er aus der Zeit gefallen ist. Wie dieser prächtige Satz: «Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.» Schon nach einer Folge der Landfrauen-Küche am TV wird klar, dass dieses Sprichwort alles von Politik bis Mode anpeilen kann, aber nicht mehr Essen. Auch Bauern kauen Suchi.

Kartoffelfeld

Manche Redewendungen bleiben ewig gültig, andere verlieren den ursprünglichen Sinn, weil er aus der Zeit gefallen ist. Wie dieser prächtige Satz: «Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.» Schon nach einer Folge der Landfrauen-Küche am TV wird klar, dass dieses Sprichwort alles von Politik bis Mode anpeilen kann, aber nicht mehr Essen. Auch Bauern kauen Suchi.

Vor 200 Jahren war der Satz einfach zu verstehen: So, wie er formuliert war. Das beste Beispiel sind die Kartoffeln. Mitte des 16. Jahrhunderts brachten spanische Seefahrer die ersten Kartoffeln aus Peru und Chile nach Europa. 1573 wurden im Einkaufsbuch des Spitals von Sevilla 25 Kilo Kartoffeln notiert. Zu Beginn gab es in Europa wenige Sorten, alle klein und mit tiefen Augen, kratzig im Gaumen und brennend im Hals. Blätter, Stiele und Knollen, die an der Oberfläche liegen und sich grün färben, enthalten das Gift Solanin. Das Misstrauen war also nicht ohne Grund und hielt sich lange. Die ersten Kulturen in der Schweiz wurden anfänglich in den Voralpen angebaut, wo die Bauern ihre Güter ohne Flurzwang bewirtschaften konnten. 1697 im Glarnerland, 1716 im Entlebuch.

Im Mittelland erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Vorausgegangen war die Hungersnot von 1770/71, zwei Jahrhunderte nach Europas Kartoffelpremiere. In Nyon versuchte der Berner Magistrat Samuel Engel, Volk und Behörden vom Kartoffelanbau zu überzeugen. Er verfasste ein «Traktat über die Natur, die Kultur und den Nutzen der Kartoffeln». Die Gemeinde Nyon druckte 100 Exemplare.

Doch der Beginn der Bekehrung verlief harzig, nicht nur in Nyon – in ganz Europa. Es brauchte Jahrzehnte und unzählige Kreuzungen bis man sagen konnte: «Die dümmsten Bauern haben die grössten Kartoffeln.»

Aber auch dieser Spruch wirkt heute unbedarft. Längst werden andere Kriterien höher gewertet, Figur statt Nährwert. Diesen Schritt resümiert Charlie Neumüller vom Waldhotel Fletschhorn in Saas-Fee: «Daheim haben wir früher die grossen Kartoffeln gegessen und die kleinen den Schweinen verfüttert. Heute ist’s grad umgekehrt.» – Siehe Rezept.

Kartoffelsalat «Fletschhorn»
300 g kleine Kartoffeln (zum Beispiel Charlotte)
etwas Kümmel
1 Schalotte, fein gehackt
1 EL Senf
Salz und Pfeffer
100 ml Essig (aus dem Gurkenglas)
100 ml Öl
100 ml Hühnerbouillon
1 EL Rahm (geschlagen)
Petersilie (gehackt)

  • Die kleinen Kartoffeln in Salzwasser mit etwas Kümmel kochen, noch heiss schälen, in Scheiben schneiden.
  • Aus Senf, Schalotte, Hühnerbouillon, Essig und Öl, Salz und Pfeffer eine sämige Salatsauce anrühren, die Kartoffelscheiben darin vermengen. Vor dem Servieren Rahm darunter ziehen und den Kartoffelsalat mit Petersilie bestreuen.

«Manche Gäste beklagen sich, wenn der Kartoffelsalat ohne Mayonnaise angemacht wird. In Österreich wäre das ein Scheidungsgrund.» Küchenchef Markus Neff, Vorarlberger

Markus Neff, Küche zwischen Berg und Tal – Geschichten und Rezepte aus dem Waldhotel Fletschhorn in Saas-Fee. AT-Verlag, Baden 2009