Schwefel im Wein – Brand im Glas?

Fast auf jeder Weinetikette steht «enthält Sulfite» oder «contient des sulfites». Was hat der Schwefel im Wein verloren?

So direkt gefragt müsste man sagen, im Prinzip hat Schwefel im Wein nichts verloren – Wein ohne Schwefel dagegen wäre schnell verloren. Die Vorzüge des Schwefels als Desinfektions- und Konservierungsmittel sind seit der Antike bekannt. Schwefel ist im Boden vorhanden und tritt bei der Gärung natürlich auf, freilich in Mengen, die man nicht merkt (und nicht auf die Etikette zu schreiben braucht). Schwefel wird dem Wein aber auch zugegeben, um ihn vor schädlichen Mikroorganismen wie Bakterien und Pilzen zu schützen und die Gärung zu stoppen. Liebliche Weine brauchen mehr Schwefel, das klingt paradox, aber der Grund der Lieblichkeit, die Restsüsse, birgt die Gefahr, die Gärung weiter zu befeuern.

Schwefel ist in vielen Nahrungsmitteln vorhanden, vor allem in eiweisshaltigen wie Hühnereiern, Fleisch und Käse. Warum dem Element dennoch negative Bilder anhängen, wirkt in diesem Zusammenhang etwas sonderbar. Liegts an der gelben Farbe? Sie erinnert an Flammen. Oder an der potentiellen Gefahr? Ein Stäbchen mit Schwefelköpfchen reicht, um einen Flächenbrand auszulösen. Warum man beim Gedanken an Schwefel eher ans Höllenfeuer und kaum an die Sonne denkt, dürfte am üblen Geruch liegen. Die stinkenden Schwefeldämpfe rauben Mensch und Tier den Atem, sie wirken, als würde sie der Teufel in die Welt hinauspusten. Im Wein dagegen ist die sauerstofftötende Wirkung des Schwefels willkommen, weil sie Oxidation unterbindet.

Jahrhundertelang trug man schweflige Amulette, um böse Krankheiten wie Pest und Cholera abzuwehren. Doch nicht alles, was nach Aberglaube riecht, ist bloss Humbug: Schwefelhaltige Präparate werden gegen Hautkrankheiten wie Schuppenflechte oder bei Gelenkschmerzen angewandt.

Allerdings ist Schwefel nicht nur bekömmlich. Für Allergiker reicht ein bisschen Wein, um Reaktionen wie Erbrechen und Atemnot auszulösen. Das ist der Grund für die Deklaration von Allergenen auf Nahrungsmitteln, welche die EU 2005 einführte. Die Zugabe von Schwefeldioxid, schwefliger Säure (E 220) oder Sulfite (E 221-228) wird auf ein Minimum beschränkt, im Schnitt auf 80 bis 100 Milligrammn Schwefeldioxid pro Liter Wein (erlaubt wären 160), bei Edelsüssen 300 bis 400 Milligramm. Ab 1000 Milligramm muss man mit Kopfschmerzen rechnen.

Obs auch ohne geht? Gewiss. Die Rebe nimmt aus dem Boden ohnehin etwas Schwefel auf. Aber zusätzliches Schwefeln muss nicht zwangsläufig sein. So hat Henri Badoux SA, die Heimstätte des Aigle Les Murailles, dem legendären Eidechsliwy der alten Speisewagenkultur, einen Weisswein lanciert, der nicht geschwefelt wird: «Hommage – Vin d’élevage ancestral», Wein nach alter Väter Sitte. Gedacht als «hommage aux précurseurs de la vinification», gewidmet den Wegbereitern des Weinmachens, wie auf der Rücketikette steht. Ganz unten heisst es noch: «Sans sulfites.»

Daniel Dufaux, Önologe bei Badoux, erklärte bei der Degustation des ersten Jahrgangs 2014, warum er ohne Schwefel arbeiten konnte: «Wenn man den weissen Saft wie üblich presst, ist er schutzlos. Dann braucht es Schwefel. Wenn man ihn mit der Haut natürlich fermentieren lässt, also vier bis fünf Wochen Maischegärung ohne Temperaturregelung und ohne Hefebeigabe, braucht man nicht zu schwefeln.» Was schützt dann den Wein? «Tannine machen ihn haltbar. Im Grunde vinifiziere ich ihn wie Rotwein.» Der Wein übernimmt die Farbe der Schale, sieht goldgelb aus, und oxidiert auch etwas. In beidem erinnert er an Vin jaune. Hommage ist ein würziger, markanter Chasselas, der ein Essen begleiten kann.

Henri Badoux

(erschienen im Tages-Anzeiger am Freitag, 8. Januar 2016)