Klirren im Kristallwald
Was bringt es, jeder Traubensorte, jeder Ausbaumethode, am Ende jeder Appellation ein eigenes Glas zu kredenzen?
«Gläser machen Weine», hat Harry Schraemli, eine Legende der Schweizer Gastronomie, einmal gesagt. Zutreffend? Durchaus. Vor allem aber sollen Gläser zweckdienlich sein und nicht als Batterien im Waffenschrank der Eitelkeiten auftreten wie Pokale mit eingeätzten Schnörkeln und Gravuren, mit Goldvignetten und andern Pompösitäten. Sie brauchen auch nicht das Fassungsvermögen für eine ganze Flasche zu bieten, wie gerne in TV-Krimis zelebriert wird, um Weinaffinität und Zeitgeistnähe zu demonstrieren.
Schlicht, gradlinig, funktional. Die ideale Form bietet das Degustationsglas. Es hat einen rundlichen Bauch, eine vergleichsweise enge Öffnung, durch die der Duft des Weins etwas komprimiert entweicht, und steht auf einem Stiel, der nicht bis zur Decke reicht. Degustationsgläser gibt es in zwei, drei Grössen – das reicht für rote und weisse Weine.
Und sauber muss es sein. Denn nichts schmälert den Geschmack definitiver als ein Gschmäckli. Sollte es faulig, schweflig, muffig, säuerlich riechen, liegt das freilich nicht am Glas. Es hat, ob billig oder teuer, keinen Geruch.
Glas ist geruchlos, weil in der Hitze des Schmelzofens kaum eine Substanz überlebt, ob sie nun himmlische Düfte oder teuflische Dämpfe verbreitet. Es braucht eine Temperatur von 1600 Grad Celsius, um Glas zu verflüssigen und in Form zu bringen. Wenn die so geschaffenen Flaschen, Einmach-, Konserven- und Trinkgläser ihre höllische Geburtsstätte verlassen, sind sie immer noch 600 Grad heiss und etwas weich. In einem «Abkühlofen» verliert das Produkt die Hitze bis auf Umgebungstemperatur.
Glas nimmt keinen Geschmack an und gibt auch keinen weiter. Darin liegt ja der grosse Vorteil von Glas- gegenüber Petflaschen, die je nach Lagerdauer, Nachfüllhäufigkeit und Inhalt Geschmack annehmen. Dennoch können besonders empfindliche Nasen Spuren von Eiweiss, das am Glas klebt, als gruusig wahrnehmen.
Da es also geruchlos ist, müssen die Moderdüfte auf andere Weise ans Glas gekommen sein. Zum Beispiel im Schrank: Man soll Gläser immer auf den Fuss und nicht auf die Öffnung stellen, damit sich darin keine missliebigen Ausdünstungen einlagern können.
Wie aber gelangen unerwünschte Düfte ans Glas? Chemie im Waschmittel, eine Frage der Auswahl und Dosierung. Dreck im Waschautomaten, weil sich zu viele Fetttröpfchen und andere Partikel im und am Ausguss des Automaten festgesetzt haben; also Filter häufiger reinigen oder mit einem speziellen Maschinenreinigungsmittel das Gerät sich selber waschen und entfetten lassen. Und schliesslich kann das gewählte Programm zu schwach sein. Gläser bei höherer Temperatur, so 65 Grad, spülen.
Oder von Hand waschen. Das Schonprogramm: Waschen mit warmem Wasser, Spülmittel ist nicht immer zwingend notwendig. Zum Abtropfen auf ein Geschirrtuch stellen. Für Extraglanz das Glas über Dampf halten. Zum Polieren zwei Leinentücher verwenden. Zuerst den Stiel mit Bodenplatte trocknen. Beim Polieren des Kelchs niemals das Glas an der Bodenplatte halten. – Denn schlimmer als Geruch ist am Schluss der Bruch.