Es muss nicht immer Ricotta sein

Eine Bekannte hat sich enerviert, weil zahlreiche Restaurants trotz Jahrzehnten konstanter medialer Behämmerung immer noch nicht gemerkt hätten, dass vegetarisches Essen einfallsreicher angerichtet werden könne als verkochtes Gemüse auf einem Teller zu arrangieren.

Ist es tatsächlich so schlimm? Ich esse zwar weniger Fleisch als zu besten Zeiten, aber aufgefallen ist mir die verschlafene Vegi-Vague nie besonders. Man muss sich schon Mühe geben, weiter nichts als kümmerliche Broccoli, Salate oder Ravioli mit Ricotta-Füllung anzubieten, die erst noch gekauft und nicht selber produziert worden sind. Auf der andern Seite ist vegetarische Küche durchaus anspruchsvoll, nimmt man die Gäste ernst und die Arbeit in Kauf.

In den Neunzigerjahren hat mein Leibkoch Christian in seinem Croix-Blanche im Jura Besuch von einer Gruppe junger Leute erhalten, die ein vegetarisches Menü wünschten. Ausser Blattsalat oder gemischter Salat hatte er nichts weiter anzubieten als das Gemüse, das im Keller lag. Immerhin waren die Gäste keine Veganer, also liess sich mit den Vorräten ein Menü zusammenstellen. Er improvisierte, sie kamen wieder.

Auf der Carte de consommation von 1996 stand fortan unter Grandes assiettes chaudes – nach Cordon bleu nature (unnachahmlich) für 22.50 Fr., Brochette de boeuf Café de Paris für 26 Fr. (Café de Paris hausgemacht) und weiteren Fleischgerichten – als krönender Abschluss: Plat végétarien sur commande 38.- (9 services) ou 26.- (6 services). Neun Gerichte für 38 Franken. Das waren noch Preise! Und alles frisch zubereitet in einer Küche, die aus einer andern Zeit zu stammen schien. Doch ein paar Jahre Speisewagen (als noch richtig gekocht wurde) hatten den Patron so geeicht, dass er unter allen Umständen wirken konnte. In Kombüsen wie im Speisewagen lernte man, durch ständiges Aufräumen Platz zu ökonomisieren und die Küche sauber zu halten.

Für seinen ersten Plat végétarien raffte Christian zusammen, was zu finden war. Er begann mit einem Carpaccio von Gurken, für die Gäste schon einmal etwas Unerwartetes. Es folgten Crème Parmentier, eine Kartoffel-Lauch-Suppe, und Bouquet de mesclun, verschiedene Blattsalate. Nun hatte er sich in Schwung gekocht. Er brachte frittierte Frühlingsrollen an den Tisch und nachher panierte Blumenkohlstücke, begleitet von einfachem Tsatsiki.In der Zwischenzeit baute er aus Rüebli, Sellerie, Lauch, Tomaten und einer verloren geglaubten Aubergine eine Gemüselasagne zusammen. Das Dessert war ein Spaziergang, Früchte oder Käse, Glacé oder Gâteau au chocolat.

So setzte er also den Plat végétarien auf die Speisekarte und griff, sur commande, beherzt in die Tasten. Steinpilze statt Gurke als Carpaccio. Dann die Variante eines Gerichts, dessen Mittelpunkt im Normalfall eine Forelle war. Christian sparte den Fisch ein und reicherte dafür die sauce safran à l’absinthe mit Rüebli-, Sellerie- und Gurkenkügeli an.

Für Hauptgänge kann man sich im Fundus der Pastasaucen von frischen über getrocknete Tomaten mit grob gehackten Oliven bis Pesto bedienen oder einen Risotto applizieren, der mit Gemüsebouillon und einem kräftigen Schluck Sherry gekocht wird oder je nach Menüfolge mit Pilzen oder Radicchio rosso di Trevisano mit etwas Rahm. Und mit einer Parmigiana di melanzane könnte man wahrscheinlich manchen Karnivoren zu einer Pause überzeugen.

Es ist schon erstaunlich, wie eingeschränkt sich das Vorstellungsvermögen von Koch und Gast manchmal zeigt. Schlappes Gemüse, Ricotta bis zum Abwinken? Braucht es nicht. Manche vegetarischen Gerichte sind so vertraut, dass man sie als solche gar nicht wahrnimmt. Morchelsauce zum Beispiel. Die präsentiert sich als Nouilles aux morilles genau so exquisit wie auf einem Kalbssteak oder als Croûte. Und sollte es etwas besonders Apartes sein, dann konfiere man geschälte Datteltomaten auf einem Kräuterbett im Ofen und verpacke jede einzelne zu einem Raviolo. Das kostet Zeit, schmeckt aber phantastisch.