Fleischfondue, geschmacklich forciert

Bei einer Diskussion über Trockenfleisch und Pökelsalz hielt mein Leibkoch Christian fest, so schmecke es immerhin aromatisch, ganz im Gegenteil zum Fleisch, das für Fondue chinoise geschnitten werde. Es sei meistens fad und oft wässerig. Tatsächlich?

Tatsächlich. Der fade Geschmack dürfte an der Qualität des Fleisches liegen, die wässrige Konsistenz am Umstand, dass die Scheiben nur deshalb so dünn geraten, weil man das Fleisch tiefgekühlt in der Aufschnittmaschine tranchiert. Von Nachteil ist, dass aus gefrorenem Fleisch kein Saft abrinnen kann und es matschig wird. Wenn dies vermeiden will, schneidet man das Stück kalt, frisch ab Kühlschrank – mit dem Risiko, dass die Tranchen nicht hauchdünn, sondern etwas dicker geraten.

Die Crux liegt also am Flüssigkeitsgehalt und an der Art, wie man den Saft aus dem Fleisch ziehen kann – am besten (und seit ewigen Zeiten) eben durch Einsalzen und Austrocknen. In den alpinen Regionen der Schweiz wird Trockenfleisch seit Jahrhunderten so zubereitet: Bündner Fleisch, Viande sechée du Valais, Carne secca im Tessin und in den Bündner Südtälern, Dirrs im Urnerland. Das Prinzip ist stets gleich, das Resultat hängt von Art und Alter, Lebensweise und Verarbeitung der Tiere sowie der Salz- und Gewürzmischungen ab, die dafür verwendet werden – Metzgergeheimnisse.

Die Kurzversion: Salz-Gewürzmischung einmassieren, Fleisch je nach Grösse zehn Tage und länger ziehen lassen, waschen, in den Trockenraum hängen. Nach ein paar Monaten hat es gegen die Hälfte seines Frischgewichts verloren und kann angeschnitten werden.

Fleisch zu trocknen diente der Vorratshaltung. Fleischkonsum war auch hierzulande lange nicht so häufig wie heute. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs konnte man sich dank wirtschaftlichem Aufschwung mehr Fleisch leisten. Deshalb ist es einleuchtend, dass die Idee, mariniertes bzw. eingesalzenes Trockenfleisch anzuschneiden, bevor man es zum Trocknen aufhängte, kaum vor den 1970er-Jahren auftauchte. Der Geistesblitz traf den Wirt des Café-Restaurant d’Anniviers in Sierre und seinen Metzger, die beschlossen, das Fleisch in genau in diesem Stadium vor dem Trocknen fein aufzuschneiden und als lokale Variante des Fondue chinoise anzubieten. Das Fleisch hat etwas Flüssigkeit verloren und schmeckt akzentuierter als frisch ab Bank – man kann getrost auf all die Sösseli verzichten, die dem Fondue chinoise Konturen verleihen sollen. Das Gericht wurde dem Quartier Glarey zu Ehren «Fondue glareyarde» genannt und im März 2014 unter Markenschutz gestellt.

Die Kunde von diesem geschmacklich forcierten Fondue zog seine Bahnen, natürlich auch ins Val d’Anniviers, worauf sich der Name des Café-Restaurants in Glarey bezieht. So bieten auch dort, in diesem Tal mit seiner kulinarischen Exzentrik (wie Vin du glacier) Restaurants und Metzger ihr eigenes «Fondue anniviarde» an.

In der Deutschschweiz hat man das Fondue anniviarde noch nicht entdeckt. Aber Ludwig Hatecke, Metzger aus Scuol im Unterengadin, bietet eine eigene Version angetrockneten Trockenfleischs an, Carpaccio Engiadinais. Er reibt ein Stück Entrecôte mit einer Mischung aus Salz, weissem und schwarzem Pfeffer, Wacholderbeeren, Lorbeer und, als Ersatz für Nitritpökelsalz, Fenchel- und Rucolapulver ein und lässt es je nach Volumen 10 bis 15 Tage ziehen. Die Würzmischung wird weggespült, das Fleisch kurz angetrocknet.

Fleischgeschmack und Aromen sind ausgewogen, die Konsistenz ist geschmeidig und von zarter Eleganz. Dieses wunderbare Carpaccio Engiadinais  kann man nicht nur in Hateckes Geschäften im Engadin geniessen, es wird auch in seiner Zürcher Bar und Boucherie am Löwenplatz angeboten.

Hatecke, Usteristrasse 12, Zürich
Salaisons Anniviers
Café-Restaurant d’Anniviers, Route du Simplon 44, Sierre