Il Santo del formaggio, der Käseheilige

Wer Milch in Käse verwandelt, schafft etwas Wertvolles – für Gaumen und Portemonnaie. Kein Wunder, hält ein Heiliger schützend seine Hände über diesen kulinarischen Schatz.

San Lucio als Fresko in der Chiesa dei Santi Pietro e Paolo in Biasca

Uguzo? Uguzon? Luguzzone? Lugozonus? Lüzi? Lucius? – Lucio! «Ma e noto soprattutto per essere il ‹santo del formaggio›», heisst es auf der Website der ignoranten Reisenden; hinter all diesen Namen steht vor allem der «Heilige des Käses». Auf einem Fresko an einer Säule in der Chiesa dei Santi Pietro e Paolo, die seit Ende des 11. Jahrhunderts über dem Dorf Biasca thront, hält San Lucio eine Formaggella in der Hand.

Eine lange Treppe führt hinauf zur Kirche, die zum Teil auf nacktem Fels errichtet wurde. Sie zählt zu den bedeutenden romanischen Bauwerken der Schweiz, auch dank der Wandmalereien aus dem 13. bis 17. Jahrhundert.

San Lucio, der «santo del formaggio», beruhigt auch in weiteren Tessiner Kirchen die Gläubigen mit seiner Präsenz, denn er gilt als Wohltäter, der die Armen unterstützt hat. Hirten und Käser verehren ihn als Schutzpatron.

Der junge Hirte mit Name Uguzo (oder Luguzzo) bzw. Lucio lebte im 12. Jahrhundert im Val Cavergna, auf der italienischen Seite des Val Colla nordöstlich von Lugano. Lucio war Hilfskraft bei einem Sennen, der sich vor allem durch Geiz auszeichnete. Da Lucio Reste und Molke an Arme verschenkte, jagte ihn sein Herr zum Teufel. Doch der Wohltäter fand einen neuen Herrn, der das Talent des jungen Käsers erkannte und ihn gewähren liess. So entdeckte Lucio, dass zweites Erhitzen die Molke flocken lässt und man aus diesen Fitzelchen einen weiteren Käse klumpen konnte: Ricotta, was wörtlich «nochmals gekocht» bedeutet.

Lucios erster Meister erfuhr vom Erfolg seines Ehemaligen. Von Neid zerfressen, erschlug er ihn auf einem Gebirgspass. An der Stelle, wo Lucio liegen blieb, begann eine Quelle zu sprudeln, deren heilendes Wasser Augenleiden lindert.

Lucio wurde als Märtyrer verehrt und bald zu einem Volksheiligen im Tessin, in den lombardischen Provinzen Como und Varese bis ins Piemont. Der Übergang zwischen dem Val Colla und dem Val Cavergna auf 1530 m.ü.M. hiess fortan Passo di San Lucio. Ein paar Meter nach der Landesgrenze steht auf der italienischen Seite eine kleine Kirche, das Oratorio San Lucio.

Labkäse wurde in der heutigen Schweiz bereits zur Römerzeit hergestellt. Im Tessin gilt ein Beleg aus dem 12. Jahrhundert als älteste Quelle für Käseproduktion. Ein besonders schönes Zeugnis ist das erwähnte Fresko in Biasca. San Lucio hält einen etwas bleichen Käse in der Hand. Kuh- mit Ziegenmilch vermischt? Was sich der Maler im 17. Jahrhundert bei der Farbmischung für sein Fresko gedacht hat, weiss man so wenig wie man seinen Namen kennt.