Mit dem Altern drückt der Boden durch
Wer gerne Wein trinkt und das Mémoire des Vins Suisses noch nicht kennt, hat ein Versäumnis zu korrigieren.
Das MDVS, so lautet die unhandliche, einigermassen verständliche Kurzform dieser Schatzkammer des Schweizer Weinschaffens, lagert seit 15 Jahren auffallende Weine von ausgesuchten Domänen um zu beweisen, dass auch Schweizer Weine in Ehren altern können. Am Anfang wurde der Geist des MDVS vom Prinzip Hoffnung getragen, doch heute erweist sich dieser Club der edlen Gewächse als Kulturgut. Die Idee, von jedem Jahrgang der selektionierten Weine jeweils 60 Flaschen der langfristigen Reifung zu überlassen, offenbart sich mit jeder weiteren Vertikaldegustation als Geschenk für die Weinkultur im Land.
Lange hiess es, Fendant-Féchy-La Côte und Beerliwii müsse man rasch trinken, bevor sich die Geschmackskomponenten verabschiedeten. Nur gelegentlich wurden konträre Meinungen geäussert und wahrgenommen. Natürlich war diese Haltung eher Gewohnheit als Maxime und gewiss nicht in Stein gehauen. Es gab immer Weine, die sich lange lagern liessen – allein Completer, ausgebaut nach alter Väter Sitte, braucht Jahre, bis man sich überhaupt einmal an einen ersten Schluck heranwagen kann.
Am 24. März 2017 lud das MDVS im Kursaal Bern zur Degustation. Die 56 Tresor-Domänen (15 im Wallis, zehn in der Waadt, drei in Genf, sechs im Drei-Seen-Land, sechs in Graubünden, acht in der restlichen Deutschschweiz und acht im Tessin) präsentierten drei Jahrgänge.
Bei derzeit 28 gesammelten Weissweinen sind acht der Sorte Chasselas dabei, drei Petite Arvine und Chardonnay, zwei Completer und Marsanne sowie jeweils eine Flasche Amigne, Gewürztraminer, Heida, Humagne Blanche, Johannisberg (Sylvaner), Pinot Blanc, Pinot Gris, Räuschling und Sauvignon Blanc.
Bei den 28 Roten dominiert Pinot Noir mit 13 Etiketten, es folgen fünf Assemblages (Bordeaux-Blends), jeweils zwei der Sorten Merlot und Syrah sowie jeweils eine Flasche Bondola, Cornalin, Gamaret, Humagne Rouge, Mondeuse Noire und Nebbiolo.
Ich hielt mich nach ein, zwei Schlucken Weissen an Pinot Noir und erlebte eine interessante Reise durch wenige, aber entschieden unterschiedliche Terroirs und Jahre: Start in Malans, wo im Selfi-Wingert auf mittelschwerem Bündner Schiefer das Fundament von Georg Fromms Lagenpinot Selvenen liegt; auf kalkhaltigem Lehmboden der Lage Röti in Oberhallau gedeihen seit 47 Jahren die Trauben, aus denen Ruedi Baumann seinen Pinot Noir -R- keltert; und an der Jurasüdfuss-Flanke ob Auvernier am Neuenburgersee wurzeln Jean-Denis Perrochets Reben in tiefgründigem lehmig-kalkhaltigem Boden, der sich auf einer Moränendecke gebildet hat. Diese Böden prägen die Weine. Natürlich kommen weitere Faktoren dazu, das handwerkliche Geschick und die Philosophie der Domänen, die topografischen und klimatischen Umstände, die sich grundsätzlich auswirken (entsprechend der Regionen, etwa Höhenlage, Exposition, Wasser) wie auch im Bann der Jahreszyklen.
So hinterlassen die degustierten Jahrgänge 2014, 2011 und 2008 auffallend charakteristische Eindrücke: Die jüngsten sind noch nicht gebändigt, man schmeckt, wie sich Säure, Frucht und Tannine aneinander reiben, wie die Temperamente eine Orientierung suchen. Beim 2011er haben sie sich gut gefunden, die Strukturen sind ausgefeilter, Säure und Tanninen fast schon harmonisch, man fühlt, wie sie sich zur Gaumenfreude vereinen werden. Beim 2008er ist es dann soweit. Das Warten hat sich gelohnt, jeder Wein zeigt Eigenwilligkeit: der Bündner dicht, tief und dennoch ohne Schwere; der Schaffhauser direkt opulent, beinahe ein anderer Wein; der Neuenburger im Gaumen mit wunderbar filigraner Perfektion, als hätte sich der sparsame Boden die letzten Krumen abgerungen, um die Rebstöcke mit Substanz zu munitionieren.
Man kann jetzt einwenden, die Lagerfähigkeit von Rotweinen wie Pinot Noir zu beweisen sei keine Kunst, viel interessanter wäre das Selbe in Weiss. Das geschieht selbstverständlich seit Beginn des Mémoire und bietet bei acht Etiketten Chasselas auch reichlich Abwechslung. Man darf sich begeistern lassen: Am 27. und 28. August 2017, wenn «Mémoire & Friends» sich im Schiffbau Zürich präsentieren.