Nasturtium der Nasenschinder
Leicht scharfe, sattgrüne Wasserpflanze, die jeden Salat bereichert und schon allein ein Steak würzt.
Brunnenkresse enthält zwar fast nur Wasser, doch tritt in der geringen Hartsubstanz, die keine zehn Prozent ausmacht, Senföl mit deutlicher Schärfe auf. Besonders heftig, wenn man die Blätter zerreibt und daran riecht. Die Römer haben das so oft getan, bis sich der Namen «Nasiturtium» etabliert hat, Nasenschinder (oder, lautmalerisch leicht abgewandelt, Nasenfolter). In unseren Küchen kennt man vor allem die Gartenkresse, die man selber ziehen kann, und die Brunnenkresse, die sich dem «urban gardening» verweigert und auch nicht in der Badewanne gedeihen will.
Denn sie zieht frisches Quellwasser vor, saubere Bäche und Wasserlöcher und -gräben, die von Grundwasser gespeist werden und deshalb keine stehenden Gewässer sind. Die Blätter der Brunnenkresse liegen wie Seerosen auf dem Wasser, nur sind sie viel kleiner, aber doch grösser als die Blätter der Gartenkresse, die eher an Wasserlinsen erinnern, auch wenn sie lieber im Trockenen leben. Wie Brunnenkresse im Wasser wächst, hat der Zürcher Botanikprofessor Gustav Hegi in seinem monumentalen Werk «Illustrierte Flora von Mitteleuropa» präzis und detailliert beschrieben: «Wurzel frühzeitig schwindend, durch die wagrecht kriechende, reichlich mit versehene Grundachse ersetzt. Stengel am Grunde kriechend und wurzelnd, aufsteigend, seltener flutend, kantig. Laubblätter gefiedert, grasgrün und meist etwas fleischig; die untersten gestielt, mit breit elliptischen, ganzrandigen oder geschweift gekerbten Seitenblättchen und mit rundlichem, breit herzeiförmigem, grösserem Endblättchen.» Mir bleibt in bester Erinnerung, wie ich einmal mit der Hand durch einen Altarm-Tümpel am Rhein unterhalb Basel fuhr und jede Menge Brunnenkresse mitzog.
Diese «Blättchen» bereiten im Gaumen echtes Vergnügen. Mit dem Messer frisch und fein gehackt, über ein erstklassiges, gut gelagertes und sauber gebratenes Rindssteak streuen – Pfeffer braucht es keinen, Salz nur wenig, und schon gar keine Chimichurrisauce aus der Konserve. Wer kein Fleisch isst, bröselt gehackte Brunnenkresse auf ein Butterbrot, und Veganer vermischen sie, ebenfalls gehackt, mit Olivenöl und geben sie zu moralisch erträglicher Pasta. Der «Nasenschinder» harmoniert mit dem Steak allerdings so verführerisch, dass man dem Drang, zum Fleisch zurückzukehren, nur schwerlich widerstehen kann.
Brunnenkresse findet man in Städten auf dem Markt und in Spezialgeschäften. Zur Zeit eher selten, denn die Pflanze beschäftigt sich mit der Reproduktion und stellt Nachwuchs über Geschmack. Ab circa 2019 soll sich der «letzte professionelle Brunnenkresse-Betrieb in ganz Mitteleuropa» zumindest vorsichtig Publikum öffnen. Gustav Hegi hat in seinem Werk, das von 1906-1931 erschienen ist, diesen Betrieb «bei Olten in der Schweiz» etwas vage erwähnt. Das Ehepaar Motzet kultiviert seine Brunnenkresse in der Region Wynau/Roggwil, und dies seit 1905 in dritter Generation. Nun kommt die Pensionierung, eigener Nachwuchs steht nicht bereit, und so wird der mit 28 Becken, 25 Tonnen Ertrag und viel ökologisch wertvollem Umland von Wässermatte bis Biberbau gesegnete Betrieb in eine vielschichtige Trägerschaft mit Pro Natura, Stiftung Wasserland Oberaargau und diversen öffentlichen und privaten Händen überführt.