Pomi d’oro alla napoletana

Nicht nur an heissen Sommertagen, wenn frische Tomaten allein optisch die Temperatur gefühlt senken, kann man sich fragen, wer denn diese wundervolle Gemüsefrucht nach Spanien gebracht hat. Eindeutig gesichert ist es auch heute nicht. Ein kleiner Zwischenbericht.

Die Engelsküche, gemalt 1646 von Bartolomé Esteban Murillo. Wo sind die Tomaten?

Die heiss gesuchten Gewürze Indiens fand Kolumbus nicht, nachdem er 1492 in Amerika angelandet war. Aber essbare Pflanzen (und auch ein paar Tiere), die in Europa nicht existierten. Gewiss auch Gold, Silber und weitere Schätze, die hier aber kein Thema sind. Ein paar neue Arten brachte Kolumbus nach Spanien. Auch die Tomate?

«Leider sind Pflanzenbewegungen nur selten als wichtig genug eingestuft worden, um sie im neuen Land, in dem sie angekommen sind, zu registrieren. Sowas macht das Studium der Migration von Pflanzen für jeden Pflanzenhistoriker zu einer frustrierenden Übung», heisst es in The Cambridge World History of Food.

Insbesondere in Sevilla, dem Empfangshafen aller Güter aus der Neuen Welt, die auf spanischen Schiffen nach Europa gebracht wurden. Beim Erheben von Taxen aller Art konzentrierte sich das fiskalische Empfangskomitee auf bekannte Werte – wer konnte schon ahnen, was Pflanzen wie Kakao, Kartoffel, Mais, Chili oder Tomate 500 Jahre später wert sein würden?

Die Frage, wer die Tomate wann nach Spanien gebracht hat, ist nie eindeutig geklärt worden. War es tatsächlich der Kapuzinermönch Bernardino di Sahagún im Jahr 1532? Oder jemand aus dem Gefolge von Hernán Cortés auf dem Eroberungszug von 1519–1521 im Süden Mexikos? Ein Mann wie Bernal Dìaz del Castillo, der von Indianern berichtete, die «uns töten und unser Fleisch essen wollten» und die «ihre Kochtöpfe vorbereitet hatten mit Chili, Tomaten und Salz» (Historia verdadera de la conquista de la Nueva España). Eine Saucenbasis, die zu chimole führte, die heute als salsa mexicana die Gaumen beglückt.

War sie einmal in Europa, galt es, die neue Pflanze kennenzulernen. Gewiss gab es Rückkehrer, die Gerichte mit Tomate bereits gekostet hatten, aber offenbar nicht willens oder in der Lage waren, Rezepte zu verbreiten. Ein spanisches Kochbuch aus dem 16. Jahrhundert ist nicht bekannt, auch tauchte die Tomate in keinem spanischen Herbarium aus dieser Zeit auf.

Die Pflanzen, etwa Kartoffeln und Tomaten, waren ja nicht harmlos. Sie konnten auf Magen und Seele schlagen, hatte man Pech oder ein gefährliches Teil erwischt. Gifte gehörten ins Reich der Apotheker, wo die Pflanzen erst einmal auf ihre Eignung als Heilmittel untersucht wurden. Wenn etwas schief lief mit ihnen, konnte man immer noch der Krankheit des verblichenen Patienten die Schuld geben.

Es dauerte seine Zeit, bis wagemutige Zeitgenossen den kulinarischen Wert solcher Pflanzen entdeckten. In Sevilla ist die Tomate 1646 noch nicht in einem Kochbuch zu entdecken, aber in der Engelsküche, einem Gemälde von Bartolomé Esteban Murillo. Frühe Rezepte mit Tomaten publizierte der Italiener Antonio Latini 1692, 200 Jahre nach Kolumbus’ Ankunft in Amerika, in seinem Buch Lo scalco alla moderna. Darunter eine Salsa di pomadora alla spagnuola, Tomatensauce nach spanischer Art – was darauf schliessen lässt, dass die Tomatensauce in Spanien bereits bekannt war. Zuerst Tomaten rösten, Haut entfernen, kleinschneiden, mit gehackten Zwiebeln, gehackten Peperoncini, ein wenig Thymian vermischen, mit Salz, Öl und Essig anrichten, «che farà una Salsa molto gustosa, per bollito, ò per alcro» (das gibt eine sehr schmackhafte Sauce für gekochtes Fleisch und anderes).

Dieser Typ Sauce kam nicht sofort an die Spaghetti und auf den Pizzaboden, «alcro» wird nicht näher definiert. Aber möglich wärs natürlich gewesen, denn die Kunst, Pasta zu fabrizieren, beschrieb Maestro Martino de Rossi, Koch aus dem Valle di Blenio im Tessin, bereits 1464 in seiner Rezeptsammlung Libro de arte coquinaria, veröffentlicht in Rom, denn Maestro Martino hatte im Vatikan die italienische Küche vom Mittelalter in die Renaissance geführt. Neben Rezepten für vermicelli und ravioli liefert Martino Instruktionen zur Fabrikation von maccheroni in altro modo, maccheroni siciliani oder maccheroni romaneschi: aus Mehl und Wasser einen Teig kneten, den man «attorno un bastone», um einen Stab wickle, welchen man dann vorsichtig herausziehen soll.

In Neapel dauerte es noch eine Weile, bis Spaghetti alla napoletana kreiert waren. Die beiden Komponenten waren zwar da, aber zum congiungimento hatten sich pasta e salsa noch nicht gefunden. Und wo haben sich Spaghetti, Tomate und Parmesan gefunden? Getrocknete Pasta stammt aus Sizilien, die Tomate kam via Spanien nach Neapel und der Parmesan ist eine Kreation der Emilia-Romagna.

Vermutlich in Neapel, wo Johann Wolfgang von Goethe 1787 auf seiner italienischen Reise beobachtete, wie man geraffelten Käse über gekochte Maccheroni streute. Zwar ohne Tomatensauce. Die blieb immer noch Fleisch- und Fischgerichten vorbehalten. Eine (erste?) Darstellung der kongenialen Vereinigung von Pasta und Tomate befindet sich im Schloss Caserta nördlich von Neapel: In einer Krippendarstellung des 18. Jahrhunderts teilen sich zwei Personen einen Teller spaghetti al pomodoro.

Und wann wurde die Pizza Margherita kreiert? Schwer zu eruieren, vielleicht durch einen Gedankenblitz, vielleicht durch einen Löffel Sauce, der zufällig auf den Teigboden klatschte – jedenfalls kaum vor Latinis Kochbuch. Als «sorte de galette d’Italie très commune à Naples» beschrieb Joseph Favre, Walliser Koch in Paris, die Pizza Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Dictionnaire universel de cuisine pratique, kannte «pizzayoli» und nannte eine Variante «aux tomates et anchois».

Neapel war 1503 unter die Herrschaft von Spanien geraten und blieb es bis 1707. Es ist also nachvollziehbar, dass die Tomate im frühen 16. Jahrhundert via Neapel nach in Italien eingeführt wurde. 1544 beschrieb der Arzt und Botaniker Pietro Andrea Mattioli die mala aurea, italienisch pomi d’oro (Goldapfel), eine gelbe Varietät, in seinem Kräuterbuch. Dazu stellte er ein rudimentäres Rezept: Tomate mit Olivenöl, Salz und Pfeffer.

1631 brach der Vulkan Vesuv in einer heftigen Explosion aus. Neapel, damals mit über 300000 Einwohnern nach Paris und London drittgrösste Stadt Europas, wurde verschont dank San Gennaro, dessen Blut sich bei der Bittprozession verflüssigt und die Stossrichtung der glühenden Lava ins südöstliche Hinterland Richtung Salerno umgelenkt hatte. Dort verwandelten Klima, Wind und Wetter mit den Jahren die Vulkanasche in fruchtbaren Boden.

Anfänglich in Töpfen und Gärten gezogen, brauchte die Tomate bald mehr Raum. «Die behutsamen Hände italienischer Gärtner verbesserten die Tomate dank Selektion, sie verwandelten sie in eine stattliche, weiche und dickhäutigere Frucht als jene, die im 16. Jahrhundert angekommen war» (The Cambridge World History of Food).