Ungefiltert, frisch, pur

«Non Filtré» ist ein Weisswein der Sorte Chasselas und eine wundervolle Spezialität der Neuenburger Winzer.

An der Hefe schneiden sich die Zungen und scheiden sich die Geister. Ein «Blanc Non Filtré» gefällt jenen, die knackige, zitronige Aromen mit einem unmissverständlichen Hefegeschmack schätzen, und mag alle andern, die das verabscheuen, kaum zu begeistern.

Normalerweise werden Weine vor der Abfüllung in Flaschen durch Filtrierung von Schwebstoffen gesäubert, vor allem von toter Hefe. Im Non Filtré bleiben die (durchaus unschädlichen) Partikel drin, so verliert der Wein nichts von seinem Geschmack, im Gegenteil, er strotzt vor ungefilterter Aromatik. Aber er sieht trübe aus, als ob er abgestanden wäre, und das macht stutzig. «Le trouble … trouble», das Trübe verwirrt, schreibt der Weinautor Pierre Thomas in einem Artikel über den Non Filtré im Swiss Wine Magazine, das die Absichten des Mémoire des Vins Suisses reflektiert.

«Abgestanden» schmeckt ein Non Filtré überhaupt nicht. Schon seine Farbe, ein hell schimmerndes Grünlichgelb bis Lindengrün, kündet von taufrischem, sprudelndem Temperament. Non Filtré ist ein Markenzeichen geworden, ein Weisswein der Sorte Chasselas, den die Neuenburger Winzer bereits nach Neujahr abfüllen und am dritten Januar-Mittwoch vorstellen. Das klingt so traditionell, als gehöre der Non Filtré zum kulinarischem Erbe Neuenburgs. Falsch wäre es gewiss nicht, denn der Non Filtré erfüllt die Kriterien, die zur Aufnahme ins Inventar des kulinarischen Erbes der Schweiz berechtigen: Er ist von regionaler Bedeutung und Charakteristik; er ist präsent, wird produziert und konsumiert, verkauft und gekauft, und das entsprechende Knowhow ist von mindestens einer Generation auf die nächste übergeben worden, seine Geschichte dauert länger als 40 Jahre – wenn auch nur knapp.

1974 fiel die Traubenernte mager aus, Grund dafür war Frost. Als ein Jahr später trotz aller Tatsachen seine Kunden nicht begreifen wollten, dass Winzer nicht zaubern und schneller Nachschub liefern konnten als die Natur zu geben bereit war, liess Henri-Alexandre Godet, Winzer in Auvernier, einen Tank vor dem üblichen Termin öffnen und den Chasselas unfiltriert abfüllen – immerhin hatte der Wein beide Gärungsphasen, die alkoholische wie die malolaktische, sauber abgeschlossen. Die Kunden waren begeistert, dieser jugendliche Chasselas zeigte sich temperamentvoll, schäumend und variantenreich im Gaumen. Säure, Stoff und Hefe-Touch fanden sofort Anklang und wurden auf Anhieb in Bars und Bistros geschätzt, wo sich, dank seines eher tiefen Alkoholgehalts, der Apéro verlängern liess.

So spritzig er auftritt, so entspannt reift er weiter, lässt man ihn liegen. Das mag paradox klingen, frühreife Weine halten selten länger als zwei, drei Jahre, je nach Ausbautechnik. Die Versuchung, den Non Filtré zu trinken, so lange seine Frische dominiert, ist verständlich – und zahlreich sind alte Jahrgänge dieses Weintyps tatsächlich nicht –, doch allein schon die Verkostung der Jahrgänge 2016, 2014 und 2011 eines Neuenburger Weinguts Ende März 2017 hat bewiesen, wie ausbaufähig ein Non Filtré sein kann, wie prägnant sich kantige Gradlinigkeit mit opulenter Dichte verbinden lässt. «Der Non-Filtré ist eine Philosophie», betont Thierry Grosjean, Besitzer des Château d’Auvernier. Eine Philosophie, die Liebhaber von ausreichend gelagertem, eher nicht massentauglichem Champagner sehr wohl kennen: Je länger die Flasche geruht hat, desto markanter präsentiert sich die Hefe.

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